Design ist Ordnung - Neuordnung ist Kunst, Teil I

Kunstbuch Wenn Neuordnung Ordnung schafft von Markus Ehrhard über die Kunst der Senufo, Elfenbeinküste
Kpelie-Maske von Bakari Coulibaly, Senufo aus Dickodougou, Elfenbeinküste

 

Im Gespräch mit Diplom-Designer Markus Ehrhard, Trier, über sein zweites Buch zu den Betrachtungen der Ästhetisierung Afrikanischer Plastik.

 

Von der Pike auf erlernte Markus Ehrhard den Beruf des Modedesigners. Er studierte nach seiner handwerklichen Ausbildung zum Damenschneider im Musteratelier von Escada in München das Fach Mode-Design an der Fachhochschule Trier. Als diplomierter Designer entwickelte er Kollektionen für die Marken Birkenstock, Iris von Arnim und Philip Treacy in London, mit dem er zusammen für mehrere Haute-Couture-Schauen in Paris – unter anderem auch für Valentino Couture und Alexander McQueen – arbeitete. Unter seiner 2001 gegründeten Marke Ornito entwirft der vielfach ausgezeichnete Designer ausdrucksstarken Männerschmuck aus Bronze und Silber, und fertigt exklusive Schmuck-Kollektionen zum Beispiel für die Museumsshops des Bode-Museums und des Pergamon Museums in Berlin oder auch für die Domschatzkammer Aachen und das Stadtmuseum Simeonstift in Trier.

„Ein Designer ist immer ein Sammler“, sagt der 44jährige Trierer, der sich seit acht Jahren auf das Sammeln von Kpelié-Masken der Senufo spezialisiert hat: „Diese Masken zeigen eine faszinierende Kombination aus Ausdrucksstärke und Eleganz und erfordern ein gekonnt ausgeführtes Handwerk.“

 

Im Jahr 2013 veröffentlichte Markus Ehrhard sein erstes Buch mit dem Titel „Wenn Brauch Gebrauch beeinflusst“ und führt seitdem auch als freier Autor Interviews mit zeitgenössischen Künstlern über die Ästhetisierung Afrikanischer Plastik für die Kunst & Kontext. Nun veröffentlicht er sein zweites Buch mit dem Titel „Wenn Neuordnung Ordnung schafft“ und vertieft darin seine Erkenntnisse und Hinterfragungen.

 

 

In Deinem ersten Buch „Wenn Brauch Gebrauch beeinflusst“ dokumentierst Du einen Teil Deiner afrikanischen Sammlung und zeigst die Auswirkungen auf Deine Entwürfe von Schmuck. Worauf baut nun Dein zweites Buch „Wenn Neuordnung Ordnung schafft“ auf?

 

Markus Ehrhard: Die Grundaussage im ersten Band war, dass in der Entwicklung von Design und Kunst der traditionelle Brauch wie auch der funktionelle Gebrauch die Form eines zu schaffenden Objektes bestimmen. Ich selbst arbeite mit erlernten und selbst entwickelten Entwurfstechniken, die, wie ich feststellte, alle einem Muster folgen. Ohne zu ermüden, kann ich ganze Serien zeichnen, egal ob zu einem Löffel, mit dem ich essen werde oder einem T-Shirt-Druck für ein museales Ausstellungskonzept. Neben der fundierten Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Thema ist die Reflektion des Tagwerks in diesem Prozess besonders wichtig. Darin erkennt man dann die Stärken, die Änderungen und das Neue. Nur manchmal ist eine Reflektion schwierig und man braucht, in dieser gewohnten Abfolge, eine Neuordnung. Ich habe erkannt, dass gerade die Afrikanische Plastik nicht nur bei mir, sondern seit jeher Impulsgeber einer Neuordnung für andere Künstler und Designer war und ist. Das Sehen wird wieder neu ausgerichtet und der Entwurf ändert sich. Dieser Prozess ist im Schaffen von Design und Kunst der gleiche. Im Ergebnis aber erzeugt das Design eine Ordnung im Sinne einer Anpassung an den Gebrauch und die Kunst eine Neuordnung einer eigenen Kunstrichtung. Genau das beschreibe ich aus der Sicht eines Machers.

 

 

Wozu gebrauchst Du in Deiner Einleitung die Begrifflichkeit der „Schönheit der Masse“?

 

Die „Schönheit der Masse“ hat auf mich eine sehr eindringliche und faszinierende Wirkung. Deshalb hängen auch meine Kpelié-Masken (Abb. 1) nur an einer Wand, dicht an dicht, man sieht kaum einen Untergrund. Im Gesamten ist das eine große Skulptur. Ich nenne sie „Die Kruste“, weil der erste Anblick schon etwas befremdlich und verstörend ist. Doch dann erkennt man die vielen schönen ovalen Gesichter, die filigran geschnitzten Dekorationen und die Wirkung jeder einzelnen Maske für sich. Durch mein Sammeln löse ich die Maske aus ihrer kulturellen Gebundenheit und setze sie bewusst in einen neuen Kontext – in eine Ästhetisierung mit einer inspirierenden Wirkung. Im Nebeneinanderstellen von Entwürfen oder Masken erkennt man dann auch die einzelnen Unterschiede. Der Vergleich bietet die Grundlage einer objektiven Diskussion sowie die Möglichkeit einer offensichtlichen Auseinandersetzung und Reflektion. Bei den Masken stellen sich zum Beispiel die verschiedenen Genres heraus, also die Unterarten der Kpelié-Maske, wie die Doppelgesichtige, den Komödianten oder solche mit einem langen Calao-Schnabel. Viele wollen einem Glauben machen, dass die Kpelié eine seltene Maske sei. Das stimmt so nicht, sie ist ein heute noch viel verwendetes Gebrauchsgut im Brauch der Senufo. Neben antiken Stücken ist gerade die rezente Kpelié-Maske von großer Signifikanz für die Plastik der Senufo.

Überblick von Kpelié-Masken der Elfenbeinküste aus dem Buch Wenn Neuordnung Ordnung schafft von Markus Ehrhard
Abb. 1: Kpelié-Masken, Elfenbeinküste

Abb. 1: Kpelié-Masken, Elfenbeinküste.

 

1. Reihe, von links beginnend:

Fossoungo Dagnogo, Fono aus Kalaha, geb. ca. 1894, gest. ca. 1973.

Fossoungo Dagnogo, Fono aus Kalaha, geb. ca. 1894, gest. ca. 1973.

Fossoungo Dagnogo, Fono aus Kalaha, geb. ca. 1894, gest. ca. 1973 (spätere Arbeit).

Nono Koné, Koulé aus Tiogo, gest. 1970.

Nono Koné, Koulé aus Tiogo, gest. 1970.

Nahoua Yeo Quattara, Koulé aus Nafoun, geb. 1934, gest. 2013.

 

2. Reihe, von links beginnend:

Fédiofègue Koné, Fono aus Kolia, geb. 1913, gest. 1987, frühe Arbeit.

Fédiofègue Koné, Fono aus Kolia, geb. 1913, gest. 1987, frühe Arbeit.

Fédiofègue Koné, Fono aus Kolia, geb. 1913, gest. 1987.

Tiénlé Koné, Fono aus Landiougou, geb. ca. 1910, gest. 1993.

Gobé Koné, Fono aus Gbon, gest. 1951.

 

3. Reihe, von links beginnend:

Songuifolo Silué, Fono aus Sirasso, geb. ca. 1914, gest. 1986, entstanden zwischen 1935 und 1939.

Songuifolo Silué, Fono aus Sirasso, geb. ca. 1914, gest. 1986, entstanden zwischen 1970 und 1980.

Songuifolo Silué, Fono aus Sirasso, geb. ca. 1914, gest. 1986.

Doh Soro, Koulé aus Djemtene.

Zanga Konaté, Koulé aus Blessegué, gest. 1940.

Bakari Coulibaly, Koulé aus Dickodougou.

 

4. Reihe, von links beginnend:

Kadohogon Coulibaly, Koulé aus Bolope, gest. ca. 1953.

Melié Coulibaly, Koulé aus Landiougou, gest. 1952.

Yalourga Soro, Koulé aus Ganaoni (frühe Arbeit).

Yalourga Soro, Koulé aus Ganaoni.

Zié Soro, Koulé aus Djemtene, geb. ca. 1945, entstanden 1990.

 

5. Reihe, von links beginnend:

Ziehouo Coulibaly, Koulé aus Korhogo, geb. 1941.

Ziehouo Coulibaly, Koulé aus Korhogo, geb. 1941.

Ziehouo Coulibaly, Koulé aus Korhogo, geb. 1941.

Ziehouo Coulibaly, Koulé aus Korhogo, geb. 1941.

Ziehouo Coulibaly, Koulé aus Korhogo, geb. 1941. (Airport-Art)

Ziehouo Coulibaly, Koulé aus Korhogo, geb. 1941.

 

 

Du verstehst den Vergleich als Methode?

 

Ja, ich finde das Nebeneinanderstellen ist eine sehr effektive Vorgehensweise in einem kreativen Prozess, aber auch um zum Beispiel eine Maske einordnen und bestimmen zu können. Dies erfordert aber zunächst auch die Möglichkeit, eine ausreichende Anzahl an Objekten gleicher Art nebeneinander zu stellen. Beim Sammeln liegt die Substanz in der Spezialisierung, wie ich das bei meinen Kpelié-Masken vorgenommen habe. Eine Provenienz sagt mir nichts über das Stück aus, außer vielleicht eine eigentümliche Eigentumsliste eine anzweifelbare Herkunft oder wann das Objekt wo von wem erworben wurde. Wobei ich letzteres noch von plausibelster Aussage für eine Zuordnung und Altersbestimmung halte. Ich bin Sammler und kein Käufer. Bewusst habe ich neben dokumentierte Originale auch sogenannte Airport-Art-Masken gesetzt, also Masken, die für den touristischen Verkauf gefertigt wurden. Man erkennt sofort die Unterschiede, aber auch interessante Gemeinsamkeiten. Dabei stellt sich heraus, dass die künstlerische Prägnanz mancher Schnitzer, den sogenannten Meistern, so markant ist, dass sie sofort eindeutig zuzuordnen sind.

 

 

Wie ist Dein Eindruck bzw. welche Erfahrungen hast Du damit gemacht, wenn Du den Schnitzer zu einem Objekt nennen kannst?

 

Der afrikanische Schnitzer ist als Schaffender auch in seiner Kultur der Urheber seines Objektes, so wie ein Künstler oder ein Designer unserer Kultur auch. Mein Eindruck ist, dass die Afrikanische Skulptur durch einen kommerziell bestimmten Hintergrund anonymisiert wird. Einer Provenienz wird mehr Bedeutung zugestanden als der eigentlichen Herkunft des Entstehens. Ohne Zweifel gibt es auch Gruppen in Afrika, wo der Schnitzer aus rituellen Hintergründen nicht bekannt sein oder genannt werden darf. Bei den Senufo ist der Schnitzer hingegen sehr wichtig, weil eine Art Wettbewerb stattfindet. Wer eine schöne Maske geschnitzt hat, kann sich sogenannten Folgeaufträgen sicher sein. Ein Schnitz-Meister ist eine hochgeachtete Persönlichkeit des öffentlichen Lebens. Es gab und es gibt großartige Senufo-Schnitzer, die aufgrund ihrer Prägnanz ein hohes Auftragsvolumen vorzeigen können und dadurch für unsere Betrachtungsweise auch viele Objekte vergleich- und zuordenbar sind. Meine Erfahrung ist, dass das Anonymisieren eine bewusste Absicht trägt. Auf Facebook habe ich einmal ein Foto mit einer Kpelié-Maske gepostet und den Schnitzer Songuifolo Silué dazu genannt. Innerhalb kurzer Zeit hat mich ein belgischer Galerist kontaktiert und aufgefordert, meinen Beitrag umgehend zu löschen. Er meinte, dass nur die Provenienz einen Verkauf zu einem hohen Preis garantiert und die Nennung eines Schnitzers einem Verkauf nicht zuträglich ist. Auch habe ich einmal ein Foto meiner Maskenwand mit einer Vermutung gepostet. Der gleiche Galerist forderte mich erneut auf, auch diesen Beitrag herauszunehmen, denn ich würde zeigen, dass die Kpelié sozusagen ein Massenprodukt sei und er verkaufe sie als seltene Maske. Aufgrund des gleichen Postings verlangte ein bekannter Kunstberater aus Antwerpen eine umfassende Auflistung meiner Sammlung inklusive einer Bewertung und der Bitte, die dazugehörigen Schnitzer nicht zu nennen, da diese keine Relevanz zeigen. Es liegt meiner Meinung nach nicht an den Galeristen oder Auktionshäusern, die zwar diese Anonymisierung und Ausblendung letztendlich ausführen, sondern eher an deren Kunden, die den Urheber nicht mehr als Wertbeleg, sondern eine Eigentümerliste als Garantie für die Echtheit eines Objektes sehen. Leider lässt ein hoher Preis die kritische Haltung sinken. Es ist ein Trugschluss, dass das, was teuer ist, auch wirklich authentisch ist. Die Nennung dieser „berühmten alten französischen Sammlung“ ist mehr als inflationär. Es geht in dieser Kunst-Szene längst nicht mehr um das Objekt selbst, sondern nur noch um den Wert einer Skulptur, also um Spekulation, Status und sehr viel Geld.

 

Die Wissenschaft hält sich auf diesem Gebiet leider sehr bedeckt. Ich denke da nur an die Ausstellung der „Afrikanischen Meister“ im letzten Jahr in Bonn: eine wirklich erlesene und äußerst elegante Ausstellung, ein Genuss, wie Zuckerbrot. Aber mit der Peitsche einen Schnitzer als „Meister der Schaufelhände“ zu beschreiben – diese Bezeichnungen wurden in der Elfenbeinküste als anmaßend und beleidigend empfunden. Unser hiesiger Kunstmarkt zeigt genau das Gegenteil: Künstler sind, wie eine Louis-Vuitton-Handtasche, zu Weltmarken mit Firmenstrukturen geworden. Da ist der Name eines Künstlers eine Wortmarke mit einer komplexen Marketingmaschinerie im Hintergrund. Ich dokumentiere daher – in der Tradition von Hans Himmelheber und Karl-Heinz Krieg – die heute noch lebenden Meister mit den Objekten, die ihre Prägnanz zeigen.

Kommentare: 0