Wenn Brauch Gebrauch beeinflusst
Der Schnitzer Songuifolo Silué (1914-1986) sagte über unseren Umgang mit der Afrikanischen Skulptur: „Ihr stellt unsere Objekte aus wie Blumen, die man auf einen Tisch stellt.“ Ehrhard zeigt in seinen Büchern auf, dass die ästhetische Wirkung weit über einen Dekorationsfaktor hinausgeht. Die Afrikanische Plastik ist Fundus und Inspiration für die Kunst und das Design unserer Kultur.
„Brauch wie der Gebrauch bestimmen die Form“, so die Grundaussage von Ehrhard in seiner ersten Veröffentlichung unter dem Titel „Wenn Brauch Gebrauch beeinflusst“. Neben einer fundierten Dokumentation zur einzelnen Skulptur und zum Geistwesen in Form von traditionellen Masken, Figuren oder auch Schmuck, zeigt der Designer die Ästhetisierung, die von der Afrikanischen Plastik ausgeht.
Markus Ehrhards Mentor war Karl-Heinz Krieg, der 2012 verstarb. Krieg lebte über 50 Jahre mit dem Stamm der Senufo in der Elfenbeinküste, und begeisterte Ehrhard vom bedeutungsschweren Gestaltungswillen der Afrikanischen Skulptur, von dem der Senufo im Besonderen. Als leidenschaftlicher Sammler war es auch das Anliegen von Karl-Heinz Krieg, dass die Schnitzer direkt zu uns sprechen. Ausschnitte seiner Dokumentationen zu den einzelnen Machern sind unter anderem auf den 248 Seiten abgebildet und aufgeführt.
Wenn Neuordnung Ordnung schafft
Im zweiten Band „Wenn Neuordnung Ordnung schafft“ vertieft Ehrhard das Thema der Ästhetisierung der Afrikanischen Plastik und erklärt über den kunstgeschichtlichen Hintergrund die Sehnsucht zur Fremde und die Faszination, die von der afrikanischen Proportion ausgeht. In seiner Einleitung zeichnet der Trierer Designer den Kontext über die Herkunft und die weiterführende Entwicklung und beschreibt, dass Design eine Ordnung darstellt und eine Neuordnung als Kunst tituliert werden kann.
Seine Methodik dabei ist der Vergleich. Seit nunmehr zehn Jahren hat sich Ehrhard auf das Sammeln von Kpelié-Masken der Senufo spezialisiert. „In der klassischen Sankt-Petersburg-Hängung sitzt Maske an Maske an meiner Wand. Man sieht kaum einen Untergrund. Ich liebe diese Art der Schönheit der Masse und nenne meine Sammlung auch ,Die Kruste', weil der erste Anblick schon etwas befremdlich, doch gleichzeitig sehr faszinierend ist. Bei genauerer Hinsicht zeigt sich der einzelne Maskentyp der Kpelié in den verschiedenen Differenzierungen ihrer Darstellung sowie in ihrer spirituellen Wirkung. Die Kpelié ist eine Stilisierung einer Geisterdarstellung und vereint Ausdrucksstärke und Eleganz. Die Eleganz ist elementar in der Senufo-Skulptur. In Senari, der offiziellen Senufo-Sprache, gibt es ein eigenes Wort dafür: gnôn.
Das Schnitzen der meist sehr dünnwandigen Kpelié erfordert höchsten Anspruch an das handwerkliche Können, eine enorme Kreativität in der Gestaltung und einen sicheren Umgang mit Proportion. Ich fühle mich in meiner Betrachtung immer an meine Tätigkeit in der Pariser Haute Couture erinnert, die diese Kombination der Stilisierung auch von mir forderte“, sagt Markus Ehrhard.
Ehrhard löst durch sein Sammeln die Maske oder Figur aus ihrer kulturellen Gebundenheit und setzt sie, wie in seinen Büchern, bewusst in einen neuen Kontext – in eine Ästhetisierung mit einer inspirierenden Wirkung. Maßstab und Orientierung seiner Betrachtung ist die Proportion, die die Markanz eines Senufo-Schnitzers, neben der Gestaltung, auszeichnet. Anhand von drei kleinen Nyingife-Figuren des bereits genannten Songuifolo Silué aus Sirasso, Elfenbeinküste, erarbeitet Ehrhard das enorme gestalterische Bewusstsein eines Meisters heraus. Nebeneinandergestellt zeigen alle drei Figürchen die gleiche Körperaufteilung im unterschiedlichen Größenverhältnis.
Eine weitere zentrale Aussage im zweiten Buch ist die Erkenntnis, dass die Senufo, nicht wie wir, durch Zählen, Messen und Wiegen ihre Dokumentation und die Wahrung durchführen, sondern durch das Wiederholen der Skulptur. Mit zwölf Jahren erlernen Senufo-Männer das Schnitzhandwerk vom Vater. Sie wiederholen dabei immer wieder die Formensprache und entwickeln später ihre eigene Prägnanz. Die klassische Form der Kpelié-Maske zum Beispiel hat sich, trotz verschiedener Einflüsse wie Massa-Kult, Islam oder Christentum, seit über 100 Jahren nicht wirklich verändert.
Die zahlreichen Abbildungen hat Markus Ehrhard alle eigenhändig angefertigt. Im dunklen Raum mit nur kleiner Leuchtquelle belichtet er ein Foto zwischen sieben und zehn Sekunden. Dabei kommen die Strukturen der unterschiedlich gefertigten Oberflächen sowie die Farben und auch die Patina zur Geltung und richten den Fokus auf das, was Ehrhard selber in der Skulptur sieht und für aussagekräftig hält. Die integrierte französische Version seiner Beschreibungen wurde in der Elfenbeinküste von der Direktorin des Musée National in Abidjan, Silvie Memel-Kassi, und von Kulturminister Maurice Bandaman mit sehr großem Interesse wahrgenommen.
Für seine Recherchen arbeitete Ehrhard mit dem Museumsbetreiber und Galeristen Souleymane Arachi in Korhogo zusammen. Arachi reist in seinem Auftrag in die Dörfer und führt als Vertrauter die Interviews mit noch lebenden Schnitzern. Diese Interviews wurden teils in den einzelnen Senari-Dialekten durchgeführt. Dabei sind Fragen, die wir aus unserer kunstgeschichtlichen und ethnologischen Sicht stellen, nicht zu beantworten, da sie erst gar nicht zu übersetzen sind.
Wenn Urform Form bestimmt
Anhand eines Tugubele-Paars des berühmten Sabariko Koné, einem Senufo-Schnitzer der 1949 in Ouézomon verstarb, zeigt der Autor in seinem abschließenden Buch „Wenn Urform Form bestimmt“, wie ein Archetyp das prägnante Erscheinungsbild der Skulptur einer gesamten Kultur formen kann. Ehrhard stellt dabei erstmalig Proportionen und markante Ausführungen verschiedener Schnitzer nebeneinander, beschreibt die distinkte Formulierung von Form und die Nuancen in der Wiederholung.
„Elementar in meiner Betrachtung ist der direkte Bezug zum Urheber, der in der heutigen überhöhten Diskussion der Authentizitätsfrage komplett außer Acht gelassen wird. Die extremen Preise auf dem internationalen Kunstmarkt sind reine Utopie, da sie für mich künstlich und nicht mehr künstlerisch erzeugt sind. In meinen Büchern erkläre ich, wie man durch Sehen die Skulptur eines Schnitzers verstehen kann und sich die Frage zur Authentizität erst gar nicht stellen muss“ erklärt Markus Ehrhard.
Band I "Wenn Brauch Gebrauch beeinflusst" ist in deutscher Sprache erschienen und umfasst 248 Seiten, davon sind 180 Seiten mit zahlreichen Abbildungen in Farbe. Das Hochformat in DIN-A4 hat die Abmessungen 21,0 cm x 29,7 cm.
Band II "Wenn Neuordnung Ordnung schafft" ist in deutscher und französischer Sprache erschienen und umfasst 248 Seiten, davon sind 180 Seiten mit zahlreichen Abbildungen in Farbe. Das Hochformat in DIN-A4 hat die Abmessungen 21,0 cm x 29,7 cm.
Band III "Wenn Urform Form bestimmt" ist in deutscher und französischer Sprache erschienen und umfasst 248 Seiten, davon sind 160 Seiten mit zahlreichen Abbildungen in Farbe. Das Hochformat in DIN-A4 hat die Abmessungen 21,0 cm x 29,7 cm.