Das Januargespräch

AC: Du hast von 1991 bis 1994 im Musteratelier von ESCADA in München gelernt. Was waren Deine Gedanken, als Du erfahren hast, dass ESCADA nun 2020 bereits zum zweiten mal Insolvenz angemeldet hat?

ME: Natürlich habe ich das Wirken von ESCADA auch nach meiner Ausbildung verfolgt. Noch über Jahre hatte ich Kontakt und ja auch ein Sponsoring für meine Diplomkollektion 2000 in Form von Stoffen und Strickgarnen. ESCADA stand für eine exklusive internationale Mode für einen ganz bestimmten Typ Frau. Als ich mit meiner Lehre dort begann, war das Label mit mehr als einer Millarde DM Umsatz im Housse. Ich weiß noch, wie ein und dieselbe Hose 29.000 mal produziert wurde und die gesamte Kollektion hatte 1.800 Teile. Da stand eine unglaubliche Konfektion und unfassbare Leistung dahinter. Während meines ersten Lehrjahres verstarb dann die Gründerin Margaretha Ley. Sie war die Identifikationsperson von ESCADA, keiner verkörperte diese bestimmte Mode, diese Marke, diesen Frauentyp und auch den Luxus wie sie. Nach ihrem Tod war diese Identifikation nicht mehr da, und es nützte auch nichts, dass die Schaufensterpuppen in den Stores nach ihrem Abbild geformt waren. Ohne Margaretha Ley war ESCADA nicht mehr ESCADA. Danach dann das Übliche, ständiger Austausch im Design, man wollte die junge Kundin ansprechen, die diesen typischen ESCADA-Look aber nicht annahm. Dann ständige Prozesse bezüglich Plagiatsvorwürfen, zu viele Lizenzvergaben und ständig neue Investoren und Inhaber. 2009 die erste Insolvenz und wieder ständige Wechsel. Irgendwann ist die Kuh dann gemolken...und muss vom Eis.

AC: Welche Marke, für die Du gearbeitet hast, hat 2020 Deiner Meinung nach richtig gehandelt?

ME: BIRKENSTOCK! Mir gefällt Oliver Reichert als neuer CEO von BIRKENSTOCK sehr gut. Der Mann schaut dort hin wo es weh tut und handelt entsprechend. Er hat sich zum Beispiel vom Verkauf über Amazon getrennt, da dieser Onlinehandel auch Kopien verkauft und nicht die Marke schützt. Auch gefällt mir, dass er nicht auf diese Flut von Influenzern und Bloggern vertraut, um die Marke zu kommunizieren. Er setzt auf den Onlinevertrieb mit einem sehr guten eigenen Shop. BIRKENSTOCK ist heute natürlich auch nicht mehr die Firma, wie sie es 1987 war als ich dort neue Designs entwarf. Damals war es ja noch ein Familienunternehmen mit Carl Birkenstock und seinen drei Söhnen. Als einzigen Kritikpunkt hätte die vielen Kooperationen und Sonderkollektionen mit anderen Marken und Designern. Das verwässert ein wenig das Eigene. Auch würde ich im Design ein wenig näher an der Idee von einem Schuh im orthopädischen Sinne von Carl Birkenstock bleiben, da könnte man auf den Punkt tolle Sachen machen.

 

AC: Hast Du noch Kontakt zu Philip Treacy in London?

ME: Ja, habe ich. Philip macht es übrigens in dieser Krise genau richtig: Er macht noch elegantere Hüte. Es ist unsere Aufgabe als Designer in so einer Zeit dem Menschen durch besonders schönes Design Hoffnung zu geben. Es geht nicht darum, trotz aller Widrigkeiten, einfach nur durchzuhalten, sondern weiter zu machen und sich noch mehr anzustrengen und sein Bestes zu geben um noch Schöneres zu kreieren.

 

AC: Markus, wie hat sich nach diesem Krisenjahr 2020 Dein Geschäft verändert?

ME: 2019 haben sich in meinem Vertrieb schon einige Anzeichen angedeutet, die sich dann im letzten Jahr erst recht verstärkt hatten. Ich spreche da vom Rückgang im Einzelhandel, mit 40% weniger Umsatz 2020. Zum Glück konnte ich 15% Zuwachs im Onlinehandel verbuchen. Mein Schmuck war in acht Geschäften vertreten. Jetzt sind meine Arbeiten nur noch direkt in meinem Onlineshop erhältlich und ich konnte dadurch für meine Kunden die Preise senken. 

 

AC: Was ist Deiner Meinung nach das Problem des Einzelhandels?

ME: Ich will nicht in Details gehen, aber es ist ein veraltetes und nicht mehr zeitgemäßes Geschäftsmodell. Der Virus zeigt uns nun genau, wie unflexibel und eingefahren dieser Vertriebsweg ist. Ein Unternehmer unternimmt und es ist heute keine Raketenwissenschaft mehr einen Onlineshop auf die Beine zu stellen. Es war aller höchste Zeit mich vom Einzelhandel zu distanzieren.

  

AC: Was hast Du nun konkret unternommen und auch umsetzen können? 

ME: Durch meinen Direktverkauf konnte ich die Preise senken. Und das obwohl der Preis für Silber 2020 um mehr als ein Drittel gestiegen ist. Dann habe ich größten Wert darauf gelegt, besonders schöne neue Designs, wie die irisch inspirierten Anhänger, zu entwickeln. Ich habe die Wertigkeit meines Schmucks weiter erhöht, in dem ich zum Beispiel den Bereich mit den römischen Münzen mit neuen Modellen, mehr Auswahl, selteneren Münzen und individuellen Anfertigungen ausgebaut habe. Ich bin dabei die Kollektion zu verkleinern und meine Klassiker nur noch auf Anfrage auflege. Auch habe ich die Krise dazu genutzt nachhaltig in der Verpackung zu werden, indem ich zum Beispiel nur noch kunststofffrei in recyceltem Papier verpacke und versende. Es gibt kein Plastik bei ORNITO und dafür ist jetzt der richtige Zeitpunkt da auch meinen Kunden für zu sensibilisieren. Und mehr denn je bin ich auf den sozialen Medien aktiv und habe dort zusätzliche Werbung geschaltet.

 

AC: Du hast also die Krise genutzt?

ME: Ich habe die Krise nicht genutzt, wie sollte ich und warum sollte ich? Ich war ja, wie jedermann, innerhalb von Tagen vor existenzbedrohende Tatsachen gestellt. Es ist in der Tat eine befremdliche Situation, wenn langjährige Geschäftspartner den ganzen Bestand, den ich mit allen Extras auf Bestellung angefertigt hatte, zurückgeben wollen. Der Einzelhändler, der nicht versteht was es heißt Dinge zu entwickeln und zu fertigen, sieht sich immer als Opfer. Muss er im Lockdown den Laden schließen, trägt der Staat die Schuld. Wird wieder gelockert und wenige Kunden kommen ins Geschäft, weil sie aus verständlichen Gründen Angst vor einer Infektion haben, trägt die Gesellschaft die Schuld. Ich habe mich nicht wie so manch andrer hingesetzt und permanent gejammert, sondern die Krise angenommen und die Möglichkeit verstanden durch diese Situation mich noch mehr anzustrengen, ORNITO zu erneuern und eigentlich schon längst überfällige Änderungen und Entscheidungen vorzunehmen, mich von vermeintlichen Abhängigkeiten zu lösen und meine Stärken zu stärken. Das ist auch noch nicht abgeschlossen, sondern ein noch laufender Prozess.

 

AC: Woran arbeitest Du aktuell?

ME: Ich bin an einem für mich neuen Genre am experimentieren, das in meiner Familie schon eine längere Tradition erfahren hatte: Nachschliffe historischer Diamanten. Seit der Sendung "Bares für Rares", in der im letzten Jahr die erste Anfertigung eines Sammelkastens mit Reproduktionen meines Großvaters Emil Juchem verkauft wurde, hat mich das Diamantenfieber gepackt. Wenn ich heute Arbeiten meines Opas studiere, erkenne ich sehr viele Parallelen und kann sehr gut nachvollziehen, was es heißt nach dem Krieg kreativ gewesen zu sein. Viele seiner Arbeiten sind rein kreativ mit eigens entwickelten Werkzeugen umgesetzt. Diesen Prozess greife ich derzeit auf und versuche wieder etwas ganz Neues, wie zuletzt den Meteoritenguss, zu schaffen.

 

AC: Wird es dann von ORNITO auch einen Cullinan oder Tiffany Nachschliff geben?

ME: Ich weiß es noch nicht. Ich bin dabei die Schliffe zu recherchieren und zu studieren, und davon ein neues Design von abzuleiten. Es gibt Sammler und Museen, die an solchen Repliken interessiert sind. Auch habe ich in Idar-Oberstein zwei herausragende Edelsteinschleifer an der Hand, die die schwierigen Schliffe präzise umsetzen können. Aber diese Szene besteht weltweit nur aus einer Handvoll begeisterter Menschen, es gibt so gut wie keinen Markt dafür. Aber ich habe zum Beispiel einen matten Vorschliff des Cullinan 1 meines Großvaters aus Bergkristall gefasst. Das ist ein neuer Look, der für meine Kollektion interessant ist.

 

AC: Welches ist Dein liebstes Designthema?

ME: Ich stelle immer wieder gerne die Frage ob die Moderne hält, was die Antike verspricht?

 

AC: Und welches ist Dein Lieblingsstück?

ME: Ein geschwärzter Silberring mit einer Konstantin Münze, die 320 in Trier geprägt wurde.

 

AC: Trägst Du eigentlich auch Schmuck von anderen Herstellern?

ME: Ja, in der Tat trage ich zum maßgeschneiderten Tweed-Anzug Uhrketten und Chatelaines aus der Zeit des Jugendstils bis zum Art Deco und zwar von Jakob Bengel aus Idar-Oberstein. Das hat sich auch zu einem weiteren Sammelthema bei mir entwickelt.

 

AC: Welches sind Deine drei Essentials diesen Winter?

ME: Ein dick gestrickter Cardigan aus Wolle vom Jakobsschaf mit Hornknöpfen, ein Paar fellgefütterte Birkenstock Bostons aus Veloursleder und eine in Gold gefasste Konstantin-Münze im Kontrast zu meinem Ring.

 

AC: Keine Maske?

ME: Selbstverständlich trage ich eine Maske. Aber die trage ich um meine Mitmenschen und mich zu schützen. Meine Maske ist von meiner Studienkollegin Tanja Kriebel geschneidert. Sie ist funktional und schön, aber sie ist kein Modeaccessoire als solches für mich. 

 

AC: Apropos Maske. Was macht das Thema Senufo?

ME: Nach wie vor sammele ich Kpelié Masken und Tugubele Figuren der Senufo. Zwar nicht mehr so intensiv wie noch vor ein paar Jahren, aber einer schönen Kpelié kann ich einfach nicht widerstehen. Kürzlich noch habe ich eine wunderschöne Maske von meinem Lieblingsschnitzer Bakari Coulibaly erwerben können. Das ist dann für mich wie Weihnachten und Geburtstag zusammen. Weiterhin pflege ich das Onlinearchiv www.senufo-art.com und dokumentiere darauf Neuzugänge von bekannten Schnitzern. Vergangenes Jahr habe ich dort weitere Artikel zu ungewöhnlichen Objekten in meinem Kunst-Blog veröffentlicht. Es haben sich neue Kontakte, zum Beispiel zum Nationalmuseum in Abidjan (Elfenbeinküste) aufgebaut. Auch war einmal ein Senufo-Artikel für ein internationales Kunstmagazin im Gespräch, aber da geht es nicht um fundierte Information, sondern um persönliche Machenschaften und Interessen. Der Ton in den Diskussionsforen der sozialen Medien ist zum Glück wieder sachlicher geworden, dennoch empfinde ich die Atmosphäre als vergiftet. Die Szene ist und bleibt "demi monde".

 

AC: Und wann geht es wieder nach Irland in die Railway Cottage?

ME: Aktuell kann ich das nicht sagen oder planen. Das hängt nun vom weiteren Verlauf der Pandemie ab. In Irland sind die Zahlen der Neuinfektionen derzeit recht hoch. Erst wenn ich geimpft bin, denke ich an das Planen. Gerne würde ich im Juli meinen 50sten Geburtstag in Glenbeigh feiern. Im Moment arbeite ich an der Webseite, www.railway-cottage-glenbeigh.com. Ich frage unsere Gäste nun immer nach einem eigenen Foto, das dann mit der Bewertung auf der Homepage platziert wird. Das kommt sehr gut an und wird auch gerne gelesen.

 

AC: Abschließend muss ich noch nach Alvis fragen. Was macht die Französische Bulldogge?

ME: Da Alvis ein sehr intelligenter Hund ist, überrascht er jeden Tag...mit viel Unsinn im Kopf. Alvis bekommt von der Pandemie nicht viel mit. Er findet es aber klasse, dass beide Papas nun immer zu hause sind.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Das Gespräch führte Andi Christ