AC: Nun Ihr viertes Buch, Markus Ehrhard, und nach Afrikanischer Stammeskunst jetzt ein gänzlich anderes Thema: Historische Diamanten. Wie sind Sie zu diesem Thema gekommen?
ME: Mein Großvater, Emil Juchem aus Wirschweiler, war Edelsteinschleifer und er war in der Branche bekannt dafür, dass er besonders große Steine frei Hand am Sandsteinrad schleifen konnte und er dadurch auch bekannt für seine Reproduktionen von historischen Diamanten war. Ab Mitte der 1950er-Jahre hat er zusammen mit dem Idar-Obersteiner Edelsteinhändler Georg A. Wild die ersten kleineren Sammlungen für Tiffany geschliffen. Ein Herr DeWitt kam dann ab 1961 mit Aufträgen berühmte Diamanten wie die Cullinan Gruppe oder den Florentiner exakt in Bergkristall nachzuschleifen. In meinen Recherchen habe ich dann herausgefunden, dass Herr DeWitt für historische Diamanten bei DeBeers zuständig war.
Und als Jüngster von 21 Enkelkindern hatte ich zu meinem 40sten Geburtstag einen angefangenen Sammelkasten mit Schliffen in Edeltopas bekommen, den ich zusammen mit meinem Vater, auch ein Edelsteinschleifer, nun komplettiert habe. Es handelte sich um die letzte Anfertigung meines Großvaters. Ein zusätzlicher Impuls zu diesem Thema war die ZDF-Sendung "Bares für Rares" in der ein Vertreter für Juwelierbedarf den ersten Sammelkasten meines Großvaters mit Nachschliffen in Bergkristall angeboten hatte und dieser von meiner Familie wieder zurück gekauft wurde.
AC: Da haben Sie etwas sehr wertvolles geerbt?
ME: Die Vermutung liegt nahe, dass ich da mit dem Edeltopas den Jack-Pot geerbt habe. Dem war aber bei weitem nicht so. Der Sammelkasten bietet insgesamt 31 Steine, davon waren 20 vorhanden. Von diesen 20 waren dann sechs Steine aus Bergkristall, zwei Synthesen und die Edeltopase teils beschädigt. Schnell stellte sich für meinen Vater und mich heraus, dass sich diese Sammlung auch für uns als eine Lebensaufgabe darstellte. Wir sind beide leidenschaftliche Sammler und so hatten wir beide ein tolles Vater-Sohn-Thema.
AC: Aber ist nicht Ihre Mutter auch gelernte Edelsteinschleiferin?
ME: Ja, genau. Sie hat zusammen mit ihrem Großcousin Wilfried Friedrich in der Schleiferei meines Großvaters gelernt. Sie waren die beiden einzigen Lehrlinge. Und meine Mutter hat zum Beispiel mit ihrem Vater zusammen den Tiffany Diamanten reproduziert. Alle unsere Vorfahren von der Juchems Seite waren Edelsteinschleifer, sein Urggroßvater Peter Juchem, als auch sein Großvater Wilhelm und sein Vater August. Das ganze Konzept mit dem Buch und den Vorträgen wurde dann auch zu einem Mutter-Sohn-Thema, denn sie erzählte viel von dieser Zeit.
AC: Warum fertigen Sie die Nachschliffe nun in Edeltopas? Gibt es keine alternativen Materialien?
ME: Mein Großvater begann nur diesen einen Sammelkasten in Edeltopas, als Lebenswerk sozusagen. Es ist uns kein Zweiter bekannt. Als mein Vater und ich dann an das Vervollständigen gingen, wurde uns ganz schnell bewusst, dass das keine leichte Aufgabe sein wird. Wir haben zum Beispiel fast drei Jahre lang nach einem Rohstein für den großen Cullinan 1 gesucht. Das nächste Problem war dann einen Lapidaire zu finden, der überhaupt in der Lage ist einen so großen Edelstein zu facettieren. Die Steine sind sehr groß und können nur frei Hand am Sandstein geschliffen werden, so, wie auch mein Großvater schliff. Interessant bei Edeltopas ist nicht nur der Wert, sondern auch die Materialdichte, die der des Diamanten fast gleich ist. Das heißt, ich kann mit einem exakten Nachschliff genau sehen, wie nah ich bei gleichen Abmessungen mit dem Gewicht an das Original des Diamanten komme.
AC: Konnten Sie ein genaues Ergebnis erzielen und den Schliff exakt nachstellen?
ME: Die Größen, sofern sie uns bekannt waren, haben wir bis auf 1/10 Millimeter genau nachschleifen können. Bei dem Gewicht liegen wir in allen Nachbildungen zwischen 4% und 10% über dem des Originals. Aber in keinem Fall darunter. Diese Abweichungen sind auf unterschiedliches Proportionsempfinden der damaligen Herstellungszeiten zurückzuführen und es gibt so gut wie nie eine Seitenansicht der Diamanten. Vor 200 Jahren, selbst vor 50 Jahren, hat man die Vorderseite (die Krone) im Verhältnis zur Rückseite (dem Pavillion) viel höher geschliffen. Das erzeugte oft wenig Brillants und eben ein anderes Gewicht. Und bei den heutigen Nachschliffen müssen nur Nuancen in diesem Proportionsverhältnis anders sein und es kommt zu diesem abweichenden Gewicht. Auch hat es mit dem Schleifen selbst zu tun. Ein Diamant wird zum Schleifen in einer Klammer fixiert und man kann die Facetten steiler ansetzen. Das wirkt sich in der Summe auch auf das Gewicht aus.
Ein weiterer Punkt ist der, dass es ausnahmslos bei jedem historischen Diamanten um einen Mythos geht. Nur zum Dresden Grün und zum Blue Hope hatten wir wissenschaftlich fundierte Facettenanlagen mit den Winkeln und Größen zur Verfügung. Bei allen anderen Diamanten hat man mit Circa-Angaben und Vermutungen zu tun. Im Fall der Cullinan Gruppe hat mein Großvater sich auf Angaben von Herrn DeWitt berufen, und auch die Angaben sind zu bezweifeln. Man muss wissen, dass es bei jedem der berühmten Diamanten um die Pflege und Aufrechterhaltung eines Mythos geht und, wie ich es aus der Mode her kenne, immer auch um ein Image. Und da wird mal gerne etwas übertrieben und Diamanten größer erscheinen lassen, als sie tatsächlich sind. Auch habe ich festgestellt, dass die wenigsten der historischen Diamanten von einem öffentlichen Institut geprüft sind, selbst wenn sie für Unsummen durch Auktionshäuser verkauft werden. Es wird nicht verschleiert, es wird nur nicht alles publiziert.
AC: Können Sie sagen, welchen historischen Diamanten Sie am exaktesten reproduzieren konnten?
ME: Den Regent. Wir hatten seine genauen Abmessungen, die wir bis auf 1/10 genau eingehalten haben. Und so zeigte sich, dass wir mit einer Differenz von 0,5 ct genau an die 140,61 ct des originalen Regenten heran gekommen sind. Das sind 0,1 Gramm, das ist schon sehr präzise.
Im Rahmen meiner Recherchen habe ich dann aus dem Besitz der Familie Wünsch einen Regenten meines Großvaters aus Bergkristall zurückgekauft. Der war sogar noch original in einer Tüte mit der Handschrift meines Großvater verpackt. Diese Reproduktion, die mein Großvater in den 1960er-Jahren geschliffen hatte, war auch schon sehr genau geschliffen und diente uns als sehr gute Vorlage.
Auch hatte ich die Möglichkeit eine weitere sehr gute Reproduktion des Regenten von dem Idar-Obersteiner Edelsteinschleifer Rudolf Dröschel aus der Sammlung Heinz Reinkober, Dresden, für die Sammlung zu erwerben. Auch diese Anfertigung diente der Studie um auf unser genaues Ergebnis zu kommen.
AC: Haben Sie auch die beiden Diamanten von Elizabeth Taylor in der Sammlung?
ME: Ja, in der Tat habe die Nachschliffe des Krupp-Taylor und des Taylor-Burton. Sie sind Teil der Sammlung. Aber ich bespreche sie nicht in meinem Buch oder in meinen Vorträgen.
AC: Warum das denn?
ME: Weil, und das ist einzigartig, auf die Diamanten sowie den Schmuck Urheberrechte auf unbestimmte Zeit bei dem Elizabeth Taylor Trust liegen. Jegliche Abbildung, Nennung sowie Vervielfältigung bedarf der vorherigen Zustimmung, sowie einen finanziellen Beteiligung. Die gute Frau war wahrlich "larger than life" in ihrer Maßlosigkeit. Auch eine Art einen Mythos zu schaffen.
AC: Sie sammeln auch Reproduktionen von anderen Edelsteinschleifern?
ME: Man hatte uns einen Teil der Sammlung Reinkober aus Dresden angeboten, die wir dann auch gekauft haben. Eben besagter Rudolf Dröschel, hatte Ende der 1970er-Jahre sozusagen das Zepter meiner Großvaters, der 1975 verstarb, historische Diamanten zu reproduzieren übernommen. In Gesprächen mit Herrn Dröschel habe ich herausgefunden, dass beide einander nicht persönlich kannten. Und ja, es befinden auch seine Steine in der Sammlung und sind auch als seine ausgewiesen und beschrieben.
AC: Sie sind ja diplomierter Modedesigner?
ME: Genau...und kein Edelsteinschleifer. In der sechsten Generation bin ich der erste in dieser "Schleifer-Dynastie", der was gänzlich anderes gelernt hat.
AC: Würden Sie auch gerne Edelsteine schleifen können?
ME: Nein. Dazu fehlt mir die Fingerspitzenkraft und das Fingerspitzengefühl.
AC: Konnten Sie denn Parallelen zur Mode ziehen?
ME: Aber ja, häufig stelle ich im Buch auch Bezüge zur Mode. Obwohl im schmuckschweren Idar-Oberstein aufgewachsen, war meine Berufswahl in der Mode. Die Imagebildung ist zum Beispiel identisch. Der Diamant ist in der Natur nicht unbedingt selten in seinem Vorkommen, aber selten ist er vollkommen. Bis dato waren immer Monarchen und Staaten Eigentümer von berühmten Diamanten. Charles Tiffany war der erste, der einen firmenbezogenen Image-Diamanten zeigte. Jeder kennt Audrey Hepburn und den Film "Frühstück bei Tiffanys", den legendären Auftritt von Lady Gaga bei den Oscars 2019 oder die aktuelle Kampagne "About love" mit Beyoncé. Diese Aktionen von Tiffany entsprechen immer dem aktuellen Zeitgeist und orientieren sich an der Mode bzw. beeinflussten auch wiederum damalige Trends der Mode.
Weitere Vergleiche kann ich im Handwerk ziehen. Gute Edelsteinschleifer haben früher sogenannte Kabinettsteine geschliffen. Exorbitant groß, übersäht mit Facetten und für Schmuck völlig nutzlos und untragbar, wie auch so manch ein historischer Diamant. Das lässt sich gut mit der Haute Couture in Paris vergleichen, in der ich ja auch gearbeitet habe. Mit der verkäuflichen Konfektion macht man sein Geld und mit der Übertreibung und Stilisierung treibt man das Können auf die Spitze und schafft damit ein Image.
AC: Welche Reproduktion stellte sich als größte Herausforderung dar?
ME: Im Grunde genommen ist jede Reproduktion eine Herausforderung für sich. Jeder Stein ist anders und stellt andere Ansprüche. Wir haben gerade den Spirit of the Rose fertiggestellt und die Umsetzung stellte sich als sehr schwierig dar. Zunächst einmal zeigte sich in der Recherche, dass der Schliff so gut wie gar nicht dokumentiert ist. In Imagevideos konnte man aber zum Beispiel sehen, dass die Rondiste ungewöhnlich breit und in sich auch nochmal facettiert ist. Auch stellte uns die Rückseite vor Rätsel, denn die Abbildungen zeigen ein wahnsinniges Facettenspiel. Das gibt die Illusion, dass der Pavillon über und über mit Facetten versehen ist. Dabei baut sich die Rückseite lediglich mit vier relativ großen Facetten auf, die rein logisch diese Brillants nicht erzeugen können. Wir sind dann doch das Wagnis eingegangen und haben uns strikt an das gehalten, was man erkennen konnte, und siehe da, es hat funktioniert.
Auch war die Auswahl des Materials schwierig. Der Spirit of the Rose ist pinkfarben mit lila Nuancen in den dunkel spiegelnden Facetten. Schnell war klar, dass die Materialauswahl sich auf eine Synthese beschränkte, denn in der Natur kommt dieses "Fancy Vivid Purple Pink" außergewöhnlich selten vor. Aus der Zeit in der mein Vater für das FEE in Idar-Oberstein tätig war, durften wir eine sogenannte YAG-Synthese für den Nachschliff aussuchen, die dieses Farbspektrum komplett abdeckt. Diese Reproduktion ist sicherlich ein Highlight in der Sammlung, da es sich zudem um den historisch teuersten Diamanten handelt. Die 14,83 ct wurden 2020 für 26,6 Millionen US-Dollar versteigert.
AC: Welche Reproduktion erforderte die meiste Arbeit?
ME: Das war definitiv der Schah. Seine Form ist annähernd naturbelassen und unsymmetrisch. Nur die größten Facetten sind poliert und zeigen zudem drei extrem kleine Gravuren in verschnörkelten persischen Schriftzeichen. Es gibt unterschiedliche Angaben zu seiner Größe und sogar zu seiner Farbe. Das Original im Diamantfundus des Moskauer Kreml zeigt einen Einschluss der den Diamanten je nach Seitenansicht gelblich erscheinen lässt. Drei Idar-Obersteiner Meister haben an dieser Reproduktion gearbeitet. Mein Vater, der den Stein auf Form und Größe ebouchiert hat, dann der Facettierer Rolf-Dietmar Reinhard der den Schah auf genaue Größe geschmirgelt hat. Dann wurden von Meistergraveur Christoph Juchem die drei Gravuren gesetzt. Auch hier war es meine Aufgabe wieder geeignete Meister zu finden, die mit ihren Erfahrungen und ihrem Können das Richtige machen.
AC: Welcher ist Ihr Lieblingsstein in der Sammlung und warum?
ME: Als leidenschaftlicher Sammler ist der neueste Zugang immer das Lieblingsstück. Daher würde ich da den Spirit of the Rose gleich nennen. Mein Großvater mochte den Florentiner aufgrund seines komplexen Schliffes sehr gerne. Aber mein all-time-favorite ist der Polarstern, denn er ist sehr fein, elegant und zeigt im Original wie in der Reproduktion absolute Perfektion und Vollkommenheit in Material und Schliff. Bis heute gilt er als der "Reinste der Reinen".
AC: Gibt es weitere besondere Reproduktionen in der Sammlung?
ME: In der Tat ist jede Anfertigung in der Juchem-Ehrhard Sammlung eine ganz besondere Anfertigung. Nicht nur im Schaffensprozess der Reproduktion, auch in der Historie zu dem originalen Diamanten selbst stehen faszinierende Geschichten. Da möchte ich zum Beispiel die Reproduktion des Grand Condé nennen. Bis in die späten 1980er Jahre kursierte die Information, dass dieser rosafarbene Diamant 50 ct wiegen soll. So wurden die Reproduktionen von meinem Großvater und die von Rudolf Dröschel, einem Meisterschleifer der nach meinem Großvater diese Nachschliffe fertigte und ich eine Sammlung von ihm aufgekauft habe, alle recht groß umgesetzt. Dann hat sich herausgestellt, dass der Grand Condé lediglich 9,2 ct wiegt. Und so dokumentiert die Juchem-Ehrhard alle drei Nachschliffe. Ein weitere sehr interessante Arbeit sind zum Nassak Diamanten entstanden, zu dem ich nun alle drei Stufen seiner Erscheinungsformen zeige. Der erste indische Schliff, völlig unregelmäßig und unsymmetrisch nach Aufzeichnungen eines Dokumentes von 1837. Dann die zweite charakteristische Dreiecksform, die von 1818 von Rundell & Bridge in London geschliffen wurde. Und schließlich den Emerald-Cut, den Harry Winston 1940 durchführen ließ. Auch diese Betrachtungen und Stufen der Dokumentation machen diese Sammlung einmalig.
AC: Wie haben Sie aus diesem Projekt Impulse für Ihre verkäufliche Schmuckkollektion umsetzen können?
ME: Natürlich konnte ich von diesem Thema auch für meine Kollektion neue Schmuckstücke ableiten. Ich habe zum Beispiel von meinem Großvater am Sandstein vorgeschliffene Steine gefunden. Man erkennt die Form und welcher Diamant repliziert werden sollte, aber die Schliffe sind nicht akkurat und nicht poliert. In der Haptik sind diese Arbeiten erstaunlich samtig und zart, obwohl sie zerkratzt und rau aussehen. Ob das nun gefällt und beim Kunden gut ankommt, ist zweitranging. Es ist eine Weiterführung der Grundidee, aber vor allem, es ist neu.
AC: Wie sind Sie in der Recherche vorgegangen?
ME: Ich hatte ein paar Aufzeichnungen meines Großvaters bzw. Anleitungen von Herrn DeWitte von DeBeers. Darauf habe ich aufgebaut. Und dann kam eins zum nächsten. Einen sehr unterhaltsamen aber auch enorm informativen Nachmittag hatte ich mit meiner Mutter und meinen beiden Tanten, Leni und Rosel. Ich hatte nur den Namen Koh-I-Noor genannt und die Erzählungen gingen los. Die Erinnerungen an meinen Großvater sind sehr wage. Ich war vier als er verstarb. Aber meine Tanten haben sehr lebendig verschiedene Situationen und Begebenheiten geschildert, sie mussten ja schon früh in der Schleiferei mit arbeiten. Dann war ich in Oberstein im Deutschen Mineralienmuseum. Ich hatte eigentlich gar nicht damit gerechnet, dass die königlichen Insignien überhaupt fotografieren dürfte. Zumal diese Ausstellungsstücke immer noch Leihgaben der Familie Wünsch sind. Aber es hat sich eine tolle Zusammenarbeit daraus ergeben und ich habe herausgefunden, dass das Museum damals alle Reproduktionen historischer Diamanten meines Großvaters aufgekauft hat. Das ist ein toller Fundus zu dem ich nun auch weiterhin Zugang habe.
AC: Haben Sie in der Recherche Parallelen oder Ähnlichkeiten zu Ihrem Großvater feststellen können?
ME: Mein Großvater, mein Vater und wie ich auch haben ähnliches Augenmaß, können räumlich Denken, haben Form- und Proportionsempfinden und können auch im Material etwas im Voraus zu sehen, haben also Vorstellungsvermögen. Auch wenn ich den Beruf des Edelsteinschleifers nicht gelernt habe, bin ich aber in der Lage genau zu formulieren, was in der Umsetzung wichtig ist. Mein Opa Emil war ein sehr kreativer Mensch, er hat sich eigene Werkzeuge gebaut und ist Wagnisse eingegangen, die ich für die damalige Nachkriegszeit als Vater mit sechs Kindern heute noch als sehr mutig empfinde. Ich zeige im Buch zum Beispiel einen Amethysten, den ich bereits als Kind von meinem Opa geschenkt bekam. Er ist unsymmetrisch aber in klassischer Tropfenform facettiert und auf der Tafel ist einen Cabouchon geschliffen. Wie er das geschliffen hat? Keine Ahnung, es bleibt uns heute noch ein Rätsel. Warum er das so geschliffen hat? Weil er es konnte. Der Stein ist nun nicht unbedingt mit einer Ästhetik und Akkuratesse gesegnet, aber er ist Ausdruck für diesen unbändigen Gestaltungswillen.
AC: Mit welchen Adjektiven würden Sie diese Gemeinsamkeiten beschreiben?
ME: Furchtlos, vorausdenkend und -sehend, beobachtend und lernend, ergebnisoffen und dennoch ergebnisorientiert, und ehrgeizig zu sein.
AC: Verbindet Sie nicht eine Vision?
ME: Nein. Für mich und mein Design sprechend, teile ich keine "Vision". Viele meiner Kollegen verkaufen sich als visionär. Das sind meiner Meinung nach ergebnisferne Hirngespinste, die ein nicht Greifbares vorgeben und weit entfernt von Umsetzbarkeit sind.
AC: Sind alle im Buch gezeigten Objekte aus dem Erbe Ihres Großvaters?
ME: Auf diese Frage ich bereits gewartet. Vorab, das Erbe ist eher als Vermächtnis als ein Vermögen zu sehen. Im Buch sind die Steine genau zugeordnet, wer wann welchen Stein geschliffen hat. Leider sind von meinem Großvater nicht sehr viele Steine in der Sammlung und leider auch nicht die Großen die meinen Vater und mich nicht nur viel Zeit sondern heute auch richtig Geld im Rohmaterial und Schliff gekostet haben. Einen Cullinan 1 in Bergkristall bekommt man heute sicherlich nicht mehr für $ 9,50. Durch meine Recherchen sind einige Arbeiten, wie zum Beispiel die beiden großen im Buch als "nichtsnutzigen Kabinettsteine" aufgetaucht, die ich dann zurückgekauft habe.
AC: Konnten Sie in der Umsetzung Ihres vierten Buches Erfahrungen aus den ersten drei Veröffentlichungen einfließen lassen?
ME: Trotz negativer Erfahrungen, die ich mit den ersten Büchern gemacht habe, habe ich dennoch wieder auf dieses Format eingelassen. Wie bei den Dokumentationen der Afrikanischen Skulpturen geht es auch in diesem Buch um eine Aufzeichnung und eine Montage, damit bestimmte Dinge nicht vergessen gehen. Und da ist auch heute noch ein Buch das effektivste Mittel, weitaus eindringlicher, wirkungsvoller und beständiger, als zum Beispiel ein Blogartikel oder ein Post in den sozialen Medien. In der Umsetzung konnte ich nun besser und schneller Entscheidungen über die Kosten und Aufwand einschätzen und entsprechend im Voraus handeln.
AC: Wie lange haben Sie für dieses Buch gebraucht?
ME: Wie auch bei den ersten drei Publikationen, war auch dieses Buch zunächst nicht als solches geplant. Ich habe im Winter 2018 begonnen Artikel und Notizen zu den einzelnen Historien zu sammeln und habe diese dann für mich in kurzer Form zusammengefasst. Mehr und mehr kamen dann Geschichten von meinem Großvater hinzu, die auch faszinierend waren. Ein auslösender Moment war die Zuordnung dieses Herrn DeWitt. Jedes mal tauchte dieser Namen in Erzählungen auf, nur keiner wusste, wer dieser Mann war. Bekannt waren nur seine Zeichnungen und, dass er Aufträge zu Reproduktionen gab. Im Frühjahr 2021 kontaktierte mich der Sammler Roger Theis und im Gespräch fiel in einem Nebensatz, dass Herr DeWitt Repräsentant von DeBeers war und für historische Diamanten zuständig war. Und das war für mich der Moment, in dem sich alles nahtlos erklärte und wie in einem Mosaik aus den Einzelsteinen dann ein in sich stimmiges und komplettes Gesamtbild bildete.
AC: Wo präsentieren Sie Ihr Buch?
ME: Ab Januar 2022 halte ich im Stadtmuseum Simeonstift in Trier im Rahmen von "Reif für die Kunst" Vorträge vor kleinen Gruppen interessierter Menschen. Mit der Direktorin Frau Dr. Dühr und dem Stadtmuseum verbindet mich eine langjährige Zusammenarbeit.
AC: Seit 2007!
ME: Stimmt! Seit 2007! Da war die Konstantin-Ausstellung in Trier und da habe ich, durch Frau Dr. Dühr ausgelöst, mit meinem Konzept für Museumsshops begonnen. Für ihren Museumsshop habe ich damals individuelle Schmuckkollektionen entwickelt und habe auch Figuren der Netsuke-Sammlung repliziert. Sie besuchte uns im Juni 2021 und ich zeigte ihr die Juchem-Ehrhard Sammlung und sie war vom ersten Moment an fasziniert. Frau Dr. Dühr ist in meinem Werdegang ist wichtiger und weitblickender Mensch, sie hat immer sehr gute Ideen die mich fordern und fördern.
AC: Noch eine abschließende Frage: Warum die Betitelung "die Juchem-Ehrhard Sammlung" und warum diese Betonung?
ME: Diese Betitelung bedeutet Tribut und Respekt meinem Großvater und meinen Eltern gegenüber, denen meiner Meinung nach zu wenig Anerkennung für ihre Lebensleistung gezollt wurde. Ein Edelsteinschleifer erhält den ein und selben Lohn für das Schleifen zum Beispiel eines Achates wie für einen Aquamarin. Dabei ist der Aquamarin um ein hundertfaches wertvoller und kann mit noch höherer Marge kalkuliert werden. Ich halte das für unfair. Der Beruf des Edelsteinschleifers beruht, wie schon eingangs gesagt, auf Fingerspitzenkraft und Fingerspitzengefühl. Eine sehr schwierige Kombination. Aus diesem Grund ist diese Betitelung eine bewusste Würdigung. Das Schleifen frei Hand am Sandstein ist eine Kunst für sich. Und ich möchte es wirklich auch so betonen, denn es handelt sich schlichtweg um eine einmalige Sammlung, die weltweit ihres Gleichen sucht!
Das Interview führte Andy Christ